Sonntag, 4. Juni 2017

Plinius zu Gast bei einem üblen Geizhals



Zu den wichtigsten Quellen der römischen Antike zählt zweifellos die Briefsammlung von Plinius dem Jüngeren (ca. 61 - 115 n. Chr.). Seine Epistulae decken eine große Bandbreite an Themen ab - wie z.B. Geldangelegenheiten, Naturkatastrophen (Vesuvausbruch im Jahr 79 n. Chr.), Gerichtsprozesse usw. Ja sogar über die Teilnahme an einem Gastmahl berichtet Plinius und gewährt uns damit Einblick in die - aus heutiger Sicht - mitunter recht kuriosen Gepflogenheiten der herrschenden Klasse Roms.

Plinius grüßt seinen Avitus!
Es wäre zu umständlich, weiter auszuholen, und es ist auch unwichtig, wie es dazu kam, dass ich als keineswegs guter Bekannter bei einem Mann speiste, der nach seiner Meinung großzügig und bedachtsam, nach meiner aber geizig und verschwenderisch zugleich war. Denn sich und einigen Wenigen tischte er allerhand köstliche Gerichte auf, den übrigen aber nur billige Speisen und kleine Portionen. Auch den Wein hatte er in drei Sorten in sehr kleinen Flaschen verteilt - nicht, damit man die Möglichkeit habe auszuwählen, sondern damit man nicht das Recht habe abzulehnen; die eine Sorte für sich und uns, eine zweite für geringere Freunde - er hatte nämlich Freunde nach Rangstufen - und eine dritte für seine und unsere Freigelassenen.
Das alles bemerkte mein Tischnachbar und fragte mich, ob ich das billige; ich verneinte es. 
Er fragte daraufhin: "Wie ist es bei dir üblich?" 
"Ich setze allen dasselbe vor. Denn ich lade zu einem Essen, nicht zu einer Zensur, und in jeder Hinsicht behandle ich die gleich, mit denen ich Tisch und Speisesofa geteilt habe."
"Auch die Freigelassenen?"
"Ja, denn dann sehe ich sie als Gäste, nicht als Freigelassene an."
"Das kostet dich aber viel."
"Keineswegs."
"Wie ist das möglich?"
"Weil meine Freigelassenen nicht dasselbe trinken wie ich, sondern ich dasselbe wie sie." (😄)
Bei Gott, wenn man seine Esslust zügelt, ist es nicht lästig, was man braucht, mit anderen zu teilen. Sie also musst du einschränken, sie gleichsam in Schranken halten, wenn du Kosten sparen willst. Dafür sorgst du viel richtiger durch eigene Enthaltsamkeit als durch Zurücksetzung anderer.
Wozu sage ich dies? Damit dich, einen jungen Mann in besten Anlagen, nicht der Tafelluxus gewisser Leute, die sich unter dem Deckmantel der Sparsamkeit zeigt, beeindruckt. [...]. Denke also daran, dass man nichts mehr meiden muss als diese neuartige Verbindung von Verschwendungssucht und Geiz; sind schon beide Laster für sich alleine höchst schändlich, so noch schändlicher, wenn sie sich verbinden.
Lebe wohl!

(Plinus, Epistulae, 2. Buch, 6. Brief)

Plinius hält es offensichtlich für charakterlich fragwürdig und ein Zeichen mangelhafter Umgangsformen, nicht allen geladenen Gästen dieselben Speisen und Getränke zu servieren. Er unterstreicht dies mit der spöttischen Bemerkung, dass er selbst es völlig anders handhabt, da er schließlich zu einem Essen - und nicht etwa zu einer Zensur - einlädt. Womit hier auf den im alten Rom üblichen Vorgang Bezug genommen wird, von Seiten der staatlichen Verwaltung die männlichen Bürger nach ihrem Vermögen bestimmten Klassen zuzuteilen; dies wurde "Zensur" (censura) genannt.
Plinius meint weiters, die Sitte seine Gäste ungleich zu behandeln sei "neuartig". Mir stellt sich bei diesem Punkt allerdings die Frage, was genau unter "neuartig" zu verstehen ist, denn bereits in Quellen, die rund ein halbes Jahrhundert vor Plinius' Brief zu datieren sind, gibt es einschlägige Hinweise. So etwa im Schelmenroman Satyricon. An einer Stelle der turbulenten Geschichte bewahren zwei Gäste einen Haussklaven vor der Auspeitschung. Dieser verspricht ihnen daraufhin für das kurz bevorstehende Gastmahl folgendes:

"Ihr werdet bald merken", sagte er, "an wem ihr eine gute Tat getan habt. Der Wein des Herren ist des Schenken Dank."

(Petronius, Satyricon 31)

Daraus kann geschlossen werden (sofern die obigen Zeilen nicht nur im übertragenen Sinn zu verstehen sind), dass es bereits damals (zu Neros Zeiten) nicht unüblich war, Gästen - abhängig vom jeweiligen Status - unterschiedliche Weine zu kredenzen. Das ist in diesem speziellen Fall umso wahrscheinlicher, weil die beiden Retter des Sklaven keine Freunde des Hausherren (namens Trimalchio) waren, sondern Wildfremde, die quasi von der Straße weg zum Gastmahl eingeladen wurden.Ein weiteres Beispiel für die Doppelstandards mancher Gastgeber - nun wieder aus der Zeit des Plinius - liefert der Satirendichter Juvenal. Über einen gewissen Virro spottet er:

Den Freunden, die er gering schätzt, wird er recht zweifelhafte Pilze vorsetzen. Der Herr hingegen bekommt Champignons. Natürlich solche, wie sie Claudius aß, bevor ihm seine Frau einen servierte, nachdem er überhaupt nichts mehr aß. Dann lässt sich Virro und seinen Mit-Virronen herrliche Äpfel geben [...]. Du aber bekommst einen vergammelten Apfel [...]

Juvenal, Satiren 5, 30-38

Lustig ist natürlich, wie sich Plinius selbst als Gastgeber davor schützt, allzu viel für Speisen und Getränke ausgeben zu müssen, ohne dabei gleichzeitig einen Teil seiner Gäste zurückzusetzen bzw. zu kränken: Er gibt einfach allen Anwesenden - auch sich selbst - gleich wenig zu essen sowie den gleichen mittelmäßigen Wein zu trinken. Freilich, so verfuhr er wohl vor allem bei umfangreicheren Banketten. Anderenfalls hätte er sich im Kreis seiner noblen Freunde rasch den Ruf eines Geizhalses eingehandelt. Er scheint jedoch, nach allem was wir wissen, ein beliebter und hochangesehener Mann gewesen zu sein.

Unterscheidungen nach Rang, gegen die wohl auch Plinius nichts einzuwenden hatte, waren bei der Positionierung der Gäste rund um den Esstisch (mensa) seit jeher üblich. Ein idealtypisches Beispiel soll mit der folgenden Grafik veranschaulicht werden: Auf jedem Speisesofa lagen maximal drei Personen (hier durch Pfeile repräsentiert). Für den Ehrengast oder den gesellschaftlich am höchsten stehenden Gast war der unterste Platz des mittleren Speisesofas (lectus medius) vorgesehen. Man sprach hier auch vom locus consularis oder locus praetoris - also dem Platz, der gegebenenfalls einem anwesenden Konsul oder Praetor zustand. Direkt gegenüber, am linken Rand des untersten Speisesofas (lectus imus) lag der Gastgeber.
Konsul oder Praetor lagerten übrigens wohl deshalb traditionell am Rand und nicht in der Mitte des zentralen Speisesofas, damit Boten leichter Zugang zu diesen wichtigen Amtsträgern hatten.

Idealtypische Anordnung römischer Speisesofas

Nach einer Darstellung in Altag im alten Rom - Das Leben in der Stadt
Keine Rechte Vorbehalten - doch um die Nennung der Quelle wird gebeten: HILTIBOLD.Blogspot.com

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Quellen und weiterführende Literatur: 
  • Plinius / H. Philips, M. Giebel (Übers.) | Epistulae | Reclam | 2014 | Infos bei Amazon
  • Petronius / Harry C. Schnur (Übers.) | Satyricon - Ein römischer Schelmenroman  | Reclam | 1968 | Infos bei Amazon
  • Juvenal / Harry C. Schnur (Übers.) | Satiren | Reclam | 1969 | Infos bei Amazon
  • Karl-Wilhelm Weeber | Alltag im Alten Rom - Das Leben in der Stadt | Patmos/Primus | 2000/2012 | Meine Rezension | Infos bei Amazon

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