Dienstag, 19. Mai 2015

Das antike Weltbild im Wandel der Zeit: Von Hekataios über Herodot, Eratosthenes bis zu Klaudios Ptolemaios

Da ich für eine Arbeit mehrer Rekonstruktionen antiker Weltkarten benötigte, die mir leider nicht in der gewünschten Form zur Verfügung standen, habe ich sie kurzerhand selbst erstellt. Wobei "kurzerhand" vielleicht nicht der richtige Ausdruck ist, denn schlussendlich hat dieses Vorhaben doch mehr Zeit in Anspruch genommen, als ich mir ursprünglich dachte.
Nachfolgende Karten spiegeln das sich verändernde Weltbild der Antike wieder. Sie wurden chronologisch geordnet und fußen weitestgehend auf Darstellungen in Der Neue Pauly - Historischer Atlas der Antiken Welt (Verlag J. B. Metzler, 2012).
Trotz dieser seriösen Quelle ist Vorsicht geboten, denn manches beruht auf Spekulationen. Einerseits gingen viele essentielle Informationen im Laufe der Jahrhunderte verloren, andererseits kann nicht ausgeschlossen werden, dass Kopisten des Mittelalters Dinge hinzugefügt, weggelassen oder falsch abgeschrieben haben. 
Aus Gründen der Übersichtlichkeit verzichtete ich darauf, alle nur erdenklichen Bezeichnungen von Flüssen, Orten usw. einzutragen. Für die verbliebenen Beschriftungen wurde beinahe ausschließlich der originale Wortlaut verwendet, wobei die Schreibweise mitunter etwas seltsam anmutet - siehe etwa Brettannia und Bretania.
Achtung: Links zu Varianten in deutlich höherer Auflösung finden sich unter den einzelnen Abbildungen. Diese stehen selbstverständlich jedermann frei zur Verfügung.


Ca. 500 v. Chr. | Weltkarte nach Hekataios bzw. Anaximandros: Eine der ersten Weltkarten dürfte der Mileser Philosoph Anaximandros erstellt haben. Da dieses Werk jedoch bereits relativ früh verloren ging, basiert die nachfolgende Rekonstruktion vor allem auf bruchstückhaften Überlieferungen seines Schülers Hekataios († ca. 480), der dem ursprünglichen Entwurf einige Informationen hinzufügte, welche er im Zuge ausgedehnter Reisen gesammelt hatte.
Die damals bekannte Erde stellte sich der Verfasser mehr oder weniger zylinderförmig vor - ähnlich einer Säulentrommel. Auf einer der beiden nach oben gewölbten Grundflächen, welche vollständig vom Ozean (Okeanos) umgeben ist, leben die Menschen. Zu sehen ist hier demnach die Draufsicht.
Glaubt man Herodot, dann hatte der ebenfalls aus Milet stammende Aristagoras eine ähnliche Karte bei sich, als er 499 v. Chr. Sparta besuchte, um für einen gemeinsamen Feldzug gegen den persischen Großkönig Dareios I. zu werben. Allerdings war diesem Ansinnen kein Erfolg beschieden, denn die Spartaner scheinen von der Ausdehnung des Perserereichs regelrecht geschockt gewesen zu sein. Aristagoras wurde daraufhin kurzerhand vor die Tür gesetzt.


5. Jh.  v. Chr. | Weltkarte nach Herodot: Der Geschichtsschreiber und Geograph Herodot ( † um 424 v. Chr.) beweist im Gegensatz zu seinen Vorgängern Mut zur Lücke. Die ihm bekannte Welt wird nicht mehr vollständig vom Ozean umspült, sondern es bleibt vielmehr offen, wie weit sich die Landmassen von Europa und Asien erstrecken. Die "Inselhaftigkeit" Afrikas stand hingegen schon längere Zeit im Raum, denn bereits um 600 v. Chr. haben möglicherweise phönizische Seefahrer im Auftrag des ägyptischen Pharaos Necho II. den "Schwarzen Kontinent" umrundet.
Herodots fortgeschrittenes Weltbild fußt also nicht zuletzt auf gezielten, staatlich finanzierten Fernerkundungsreisen, für die es noch einige weitere Beispiele gibt. So soll etwa ein Karthager namens Himilko die iberische Atlantikküste in Richtung Norden befahren haben, bis er zu den Oestrymnides insulae gelangte - wie sie der römische Poet Avienus bezeichnet. Die Wissenschaft geht heute davon aus, dass mit diesem nur bei Avienus überlieferten Namen die Kassiteriden gemeint sind - eine mehr oder weniger sagenhafte Inselgruppe vor der Küste Britanniens. Sollte dies tatsächlich zutreffen, dann beabsichtigte Himilko vermutlich, die reichen Zinnvorkommen der britischen Inseln zu erschließen.
Ein weiterer Forschungsreisender aus Karthago war der hochrangige Magistrat und General Hanno. Im frühen 5. Jh. v. Chr. befuhr er die Küste Westafrikas und gelangte vermutlich bis nach Kamerun. Sein Reisebericht blieb - im Gegensatz zu Himilkos - in Form einer griechischen Übersetzung erhalten.




3. Jh.  v. Chr. | Weltkarte nach Eratosthenes: Der erste Gelehrte, der im Zusammenhang mit einer Landkarte Koordinaten verwendete, war möglicherweise ein um 375. v Chr. in Messena geborener Grieche namens Dikaiarchos. An ihm dürfte sich etliche Jahre später der bedeutende Geograph, Astronom und Bibliothekar Eratosthenes von Kyrene († um 194 v. Chr.) orientiert haben. In seinem nur bruchstückhaft überlieferten Werk Geographika finden sich Längen- sowie Breitengrade (Parallelkreise, Klimata); wobei er letztere durch Temperatur- und Vegetationsvergleiche ermittelt haben soll.
Zwar ging auch Eratosthenes von einer kugelförmigen Erde aus (ab. dem 6. Jh. beispielsweise von Parmenides postuliert, ab dem 4. Jh. weitestgehend akzeptiert), allerdings berücksichtigte er dies nicht in seiner Weltkarte - etwa durch entsprechende Krümmung der visualisierten Längen-und Breitengrade. Stattdessen entspricht die Projektion einem aufgerollten Zylinder, wie der hier dargestellte Rekonstruktionsversuch zeigt.
Interessanterweise scheint Eratosthenes in die Ansicht zurückgefallen zu sein, wonach das Kaspische Meer eine direkte Verbindung zum Okeanos bzw. großen Weltmeer besitzt (siehe auch die Karte des Hekataios). Dieser Irrtum könnte auf dem teilweise unwahren Reisebericht eines gewissen Patrokles beruhen, der im Auftrag der Seleukidenherrscher irgendwann zwischen 293 und 281 v. Chr. das Kaspische Meer befuhr. Auch die Darstellungen von Afrika und Asien veranschaulichen, wie fehlerhaft Eratosthenes' Vorstellungen mitunter noch waren. Andererseits dürfte er einer der ersten Geographen gewesen sein, der die Britischen Inseln berücksichtigte. Worum es sich allerdings bei der nördlich von Britannien eingezeichneten Insel Thule handelt (erstmals im 4. Jh. v. Chr. vom Entdecker Pytheas erwähnt) ist bis heute unbekannt; Island, die norwegische Insel Smøla und einige weitere Kandidaten sind im Gespräch.
Ebenfalls rätselhaft ist die im Südosten (Indischer Ozean) anzutreffende Insel Taprobane. Die früheste namentliche Überlieferung datiert in die Zeit um 290 v. Chr. und stammt vom griechischen Gelehrten Megasthenes. Es wird gemutmaßt, dass Sumatra oder Sri Lanka gemeint ist.
Zum Schluss noch eine persönliche Beobachtung: Auf dem eingezeichneten Meridian von Alexandreia liegen (mehr oder weniger exakt) auch die Städte Syene, Meroë, Lysimacheia, die Insel Rhodos und die Mündung des Borysthenes (Dnepr). Da diese Orte auch namengebend für sechs der sieben Parallelkreise (Breitengrade) sind, kann ich mir nur schwer vorstellen, dass es sich hierbei um einen bloßen Zufall handelt (Im Nachhinein ist mir übrigens aufgefallen, dass ich leider vergessene habe, die am Bosporus gelegene Stadt Lysimacheia einzuzeichnen).




2. Jh.  n. Chr. | Weltkarte nach Klaudios Ptolemaios: Der Gipfel antiker Geographie wurde zur Zeit des Universalgelehrten Klaudios Ptolemaios (Claudius Ptolemäus) erreicht. Die von ihm verwendeten Längen- und Breitengrade berücksichtigen die Kugelgestalt der Erde und haben dementsprechend die Form konzentrisch angeordneten Bogenstücke. Zumindest legt dies sein Werk Geographika Hyphegesis nahe. Allerdings sind die von der Forschung bisher daraus abgeleiteten Karten bzw. Projektionen nicht ganz unproblematisch; etliche der überlieferten Ortsangaben scheinen nicht zu stimmen. Selbiges Problem stellt man bei Kartenmaterial fest, das von Kopisten des Mittelalters stammt und angeblich auf Originalen beruht, die einst der Geographika Hyphegesis beigefügt waren.
Ptolemaios stützte sich stark auf die Arbeiten des Gelehrten Marinos von Tyros. Aber auch die (eher ungenauen) Berichte von umherziehenden Kaufleuten und militärischen Unternehmungen waren für ihn von großer Bedeutung. Beispielsweise dürfte er von jener aus Prätorianern bestehenden Expedition gelesen haben, die der verhaltensauffällige Kaiser Nero im Jahr 61 v. Chr. ausschickte, um die Quelle(n) des Nils zu finden. Die Erkenntnisse dieser bis in den Südsudan und zum Weißen Nil führenden Forschungsreise wurden dem Herrscher in Form einer Karte überreicht.
Ähnlich interessant wird für Ptolemaius der Bericht des Fernhändlers Maës Titianus gewesen sein. Dieser gelangte im 1. Jh. n. Chr. auf der Seidenstraße bis zum Pamir-Gebirge in Zentralasien. Dort nannte ihm Gewährsmänner die verbleibende Entfernung nach China bzw. zur Stadt Sera.




4 Kommentare:

  1. Wirklich sehr interessant!
    Hast du für das Erstellen der Karten ein spezielles Programm verwendet?

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    1. Die Karten habe ich einfach Ebene für Ebene mit dem Bildbearbeitungsprogramm Paint.Net erstellt.

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  2. Leider funktionieren die Verlinkungen zu den hochauflösenden Karten nicht.

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    1. Das Problem kann ich nicht reproduzieren. Bei mir funktionieren alle Links.
      Alternativ findet man die Karten auch hier: https://www.flickr.com/photos/hiltibold/albums/72157632228549356

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