Donnerstag, 15. Januar 2015

Hygiene, Tischsitten und überdimensionale Servietten im Mittelalter


Entgegen manch moderner Darstellung war der Mensch des Mittelalters nicht per se ein ungewaschener Schmutzfink. Besonders die ausgeklügelten Tischsitten des Adels und gehobenen Bürgertums veranschaulichen, dass Hygiene einen nicht zu unterschätzenden Stellenwert im Alltagsleben einnahm.  Dazu zählte etwa das demonstrative Waschen der Hände vor dem Essen - ein Vorgang, der möglicherweise an das Letzte Abendmahl erinnern sollte, andererseits aber bereits in der vorchristlichen Antike gebräuchlich war und daher eine unbewusste Fortführung römischer Gepflogenheiten sein könnte.

Da Gabel und Löffel bei Tisch erst ab dem 14. Jh. zaghaft in Erscheinung traten - in der Küche waren sie freilich schon weitaus länger anzutreffen - wurde beispielsweise das Fleisch beim Schneiden mit den Fingern festgehalten. Die einzelnen Portionen führte man ebenfalls mit den Fingern zum Mund. 
Nun verhielt es sich jedoch so, dass zumindest die weniger bedeutenden Gäste das Fleisch zumeist nicht direkt auf den eigenen Teller serviert bekamen, sondern es sich selbst von diversen Platten angeln mussten. Dabei hätte der an den Händen haftende Bratensaft leicht diese Platten bzw. das Essen der anderen besudeln können. Ein wenig appetitlicher Vorgang, den man niemandem zumuten wollte. Nicht zuletzt deshalb standen Wasserschalen zum Reinigen der Finger bereit. Vor allem aber wurden entlang der Tischkante lange Tücher ("Servietten") ausgelegt, an denen bei Bedarf die Hände abgewischt werden konnten (siehe obiges Gemälde). Diese sorgten darüber hinaus für eine Schonung des darunter befindlichen Tischtuchs (Ähnlich verfuhr man in der Antike, denn bereits damals wurden gepolsterte Klinen bei Gelagen mit Tüchern geschützt). Extravagante Gastgeber im späten Mittelalter und der Renaissance verzichteten bei Tisch auf derlei "Schonbezüge". Stattdessen ließen sie ihre Tafel mit mehreren Lagen Tischtüchern decken; bei jedem neuen Gang wurde das befleckte oberste abgetragen. Eine aufwendige Prozedur!

Übrigens, die Vorstellung, dass der Mensch des Mittelalters seine Finger besonders gerne an der Kleidung abwischte, ist doch reichlich absurd. Textilien waren vor der Industrialisierung kostspielig bzw. aufwendig in der Herstellung. Daher ging man damit nach Möglichkeit pfleglich um - selbst als Adeliger, der gewiss keine Freude darüber empfand, wenn seine samtenes Wams Fettflecken aufwies.


Weiterführende Literatur:
Das Mittelalter-Kochbuch | Hannele Klemettilä | Anaconda | 2013 | Meine Rezension | Infos bei Amazon


4 Kommentare:

  1. In den Romanen von Chrétien de Troyes gibt es keine Ess-Szene ohne vorheriges Händewaschen, das gehört zur höfischen Lebensart. Dass das etwas mit dem Letzten Abendmal zu tun haben könnte, ist ein interessanter Gedanke.

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  2. Im Frühmittelalter und Hochmittelalter hatte man keine Löffel am Tisch?

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    1. EDIT: Zumindest auf das mittelalterliche Gesamt-Europa bezogen soll der Einsatz des Löffels zur Nahrungsaufnahme die Ausnahme gewesen sein. Mich hat das auch ein wenig gewundert (ich hätte die betreffende Erwähnung daher beinahe weggelassen), aber es steht so bei zwei Damen (Klemettilä, Snodgrass), die sich mit dem Thema Tischsitten beschäftigt haben. Suppe und Brei sollen demnach lange Zeit vorzugsweise direkt aus der Schüssel geschlürft worden sein.

      http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/4/4a/Bayeux-feast01.jpg

      "Ikonografisch" lässt sich der Löffel bei Tisch selbst im Spätmittelalter nur vergleichsweise selten feststellen, wie ich bei der Durchsicht von etlichen zeitgenössischen "Tischszenen" festgestellt habe.

      Ich werde zu dem Thema bei Gelegenheit noch einen gesonderten Beitrag schreiben.

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    2. Also aus dem Spätmittelalter und späten Hochmittelalter gibts dann ja auch Löffel-Funde zur Genüge, aber als ich jetzt auf deinen Beitrag hinauf nachgeschaut hab, konnt ich für das Frühmittelalter und Hochmittelalter auch nicht viele auftreiben, die nicht aus Silber waren oder offenbar in liturgischem Gebrauch standen. Ich mein, gehen tuts auf jeden Fall auch ohne, aber es hat mich jetzt schon gewundert, wenn man von einer Nahrungszusammensetzung ausgeht, die zum großen Teil aus flüssigen und halbflüssigen Speisen besteht wie suppen, eintöpfe, breie etc. Aber ok, was man am ende nicht rausschlürfen konnte, tunkt man mit einem Stück Brot auf.
      Sehr interessanter Aspekt auf jeden Fall. Da sieht man mal wieder, dass man sich in der LH in einer Zeit super auskennen kann und trotzdem 100 Jahre früher schon aussetzen muss.

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